Wir halten uns an den Jahren fest, als wären es Polaroids. Du legst eins nach dem anderen zu deiner Sammlung, der Deckel passt schon nicht mehr auf den Karton, der Staub kriecht hinein und die Silberfische knabbern langsam die Farbe vom Papier – warum du das eigentlich alles aufhebst, werden deine Kinder dich irgendwann fragen, wozu das gut sein soll. Die Antwort darauf legst du ebenfalls in den Karton, bis du sie vielleicht beantworten kannst irgendwann; deine Sammlung wiegt schwer.
etwas brennt durch
Ein Jahr, so frisch und jung und doch kann es nur besser werden. Ein Krankentransport nachts um Vier, eine Magenblutung und eine Mittelohrentzündung später, ein kaputtes Auto, eine Panik und Schmerzen und diese Angst, diese Scheißangst vor allem. Wohin mit dir, wenn alles zu zerbrechen droht am ersten Tag des Jahres, am Neujahrstag voller Glückwünsche und Happyhappys, ich will die Augen zu machen und nicht mehr öffnen müssen. Wohin mit der Angst, wenn sie sich nicht wegdenken lässt, wohin mit der Zerbrechlichkeit des Lebens, wohin damit, wohin mit dir und mir und dem ganzen Rest.
bis die nacht dich frisst
Wachbleiben, nicht aufgeben, aber vor allem nicht nachgeben, diesem Winterwind der Gedanken. Schon bröckelt die Mauer wieder, schon stehst du wieder barfuß auf dem schneefrostigen Boden des Tages nach dem Schlaf, der nur ein schwaches Abbild einer Ruhe ist, die du nur ahnen kannst.
reglos lauert der schnee
Wir wissen weder ein noch aus und bleiben einfach stehen deswegen. Das ist mithin die schlechteste Lösung, klar, aber alles ist unscharf um uns herum und das wollen wir einfach nicht recht verknuspern momentan. Stattdessen halten wir uns aneinander fest und lassen nicht locker, erst recht nicht los, wäre ja noch schöner, alleine zu stehen im Nebel, der nur gedämpft das Leben durchlässt und ab und an winzige Wahrheiten nadelspitz unter unsere Gänsehaut jagt.
besser ist auch nicht anders
Morgens gibt’s die Kopfschmerzen gratis zum Kaffee dazu und nachts dann dieses ewige Gedankengewurschtel aus Habichvergessen und Mussichnoch. Zwischen hier und da läuft es meist wie am Schnürchen, wenn da nicht allerweil ein Knoten wäre oder eine zu schwache Stelle im Gewebe aus Hirnrotz und Gefühlsduselei, ständig stolpert man vor sich hin und am Ende ist da immer ein wenig zu viel Oh dabei, das einen einfach nie loslassen will. Klammeräffchen Weltschmerz, scheiße ist das, und unnötig sowieso; lass doch mal locker, nur kurz, bis ich wieder zu Atem gekommen bin ohne diesen ständigen wirren Husten.
der flickenteppich, den wir leben nennen
Dann eben so: Mit den Kindern basteln. Halloween feiern und Süßigkeiten vernichten. Kekse backen. Dinge tun. Ich könnte das tagein tagaus, Hausfrau sein, nähen und werkeln und wurschteln; ich verstehe das von Jahr zu Jahr besser, wie andere das aushalten oder besser gesagt: wie sie das Leben /dadurch/ aushalten. Wie das so unkompliziert daher kommt, dieses Gefühl, etwas getan zu haben, das irgendwas nützt: Schau, wie schön die Plätzchen geworden sind und wie die Kinderaugen leuchten. Wie hübsch unsere Kürbisköpfe leuchten und wie lecker der Pudding schmeckt. Und auf dem Tisch liegen die Rechnungen, hier, ihr kleinen Monster mit den vielen Zahlen drauf, ich back euch einen Kuchen mit extra vielen Smarties drauf.
nur noch ein stückchen
Spaß ist für die anderen gerade, für die, die den Kopf frei haben und denen der Wind durchs Geäst und Gehirn bläst mit Wucht. Du selbst aber sperrst den Wind aus und schließt Fenster und Türen, weil du nicht genau wissen kannst, was da sonst noch so alles hochkommen könnte, wenn du dich hingeben würdest. Apropos Hingabe, denkst du und wickelst die Decke noch ein bisschen fester um dich, apropos irgendwas, denkst du und schreist im Kopf ein Fuck It in die Welt, während sich über deine Lippen ein Ach schleicht.
nichtmalmehrweniger
Durch den Tag wurschteln wir uns wie nachts durch unsere Gedanken. Dass es mühsam ist, wundert uns nicht, aber es stinkt uns, diese Mühseligkeit, dieses Mistwetter unsere Launen, das uns begleitet wie eine übergroße Regenwolke über dem Kopf. Und wir? Wir lassen es regnen und regnen und stürmen lassen wir es auch, während wir auf zartes Grün hoffen.
was immer du tust, tu es mit mir
Aufwachen und die Decke gleich wieder über den Kopf ziehen wollen, aufwachen und doch nicht wach sein, weil dich etwas am Tag hindert und an irgendwas festgekettet hat, was du nicht beziffern kannst; da hängst du nun also in den Seilen und nicht mal mehr der Duft von Kaffee kann dich retten aus den Fängen der Nacht. Liegenbleiben. Einfach nur. Liegenbleiben, liegenbleiben. Und dann kommt dir der Gedanke in den Kopf, dass du ja keine Zwanzig mehr bist, nicht mal mehr Dreißig, und dass du eben nicht einfach so liegenbleiben kannst um dich unter der Decke zu verstecken, weil da Rechnungen bezahlt, Mails geschrieben, Arbeit erledigt werden will, weil der Alltag laufenlaufen muss und du mit ihm, laufenlaufen, du hast Verantwortungen und Abhängigkeiten und Dinge um dich herum, die du nicht einfach on hold setzen kannst mit einem Klick und gut isses. Die Wolken im Kopf trägst du mit dir herum durch den Tag, schwer wie Blei, schwer wie deine Beine, schwer wie dein Herz beim Gedanken an den Frühling, bis du müde aufs Sofa sinkst des nachmittags und dich der Schwere ergibst.
es läuft, aus dem ruder zwar aber immerhin
Wider besseren Wissens verschieben wir ständig Dinge, mal um ein paar Tage nur, mal um einige Jahre – und wenn dann die Kinder erst mal groß sind, ja, dann. Dass wir uns damit nichts Gutes tun, versteht sich von selbst, wir wissen das, ja ehrlich, wir wissen das durchaus, aber was soll es schon, wenn uns das Leben umgibt und der ständige Kampf ums Aufstehen jeden Morgen und ums Zubettgehen jede Nacht; den Kampf führst du mit dir selbst und deinem alten Ich, das, das da früher mal war irgendwann und das du loslassen kannst ganz getrost, denn die Dinge sind immer in Bewegung und fürchten sich nicht, ganz im Gegensatz zu dir.