28. September 2011

herbst|laub

Diese Dunkelheit morgens. Beim Aufstehen. Das ist doch nicht dein Ernst, liebe Welt. Wie soll man denn da fröhlich und munter in den Tag starten, wenn einen der Tag mit Dunkelheit begrüßt, wie Winter sieht das um diese Uhrzeit aus, wie kalt und Eis und Schnee, dieses finstere Graublau am frühen Morgen; ich halte mich an meiner Tasse Kaffee fest, als wäre sie Anker und Rettungsboot, Frühlingsgefühl und Sommerfrische. Draußen bröckelt der Tag so vor sich hin, bis ich aus dem Haus komme, sind aus den lichten Brotkrümeln ganze Scheiben geworden, so dass ich beim Gehen nicht mehr sehe, dass in meiner Wohnung überall Licht brennt, wie im Leben ist das. Man merkt in dieser Jahreszeit nicht mehr, dass man die Glühbirnen angeknipst hat, um überhaupt die Zahnbürste finden zu können, dann kommt die Stromrechnung irgendwann und man fällt hintenüber vor Schreck, weil man es versäumt hat, rechtzeitig Rücklagen zu bilden.

25. September 2011

fan|fan

Wie wir durch die Nacht treiben manchmal, haltlos in diesem Meer aus Sternen und Menschen, wie sie alle leuchten, nur wir selbst sehen uns dunkel im Nebel stehen und unwissend angesichts dieser Übermacht. Statt zu lächeln trinken wir, statt zu wimmern und weinen lächeln wir, bis die Füße unter uns wegbrechen und die Welt mit ihr, du fällst weich. Aber du fällst. Keiner merkt es, wie sehr und wie tief, wie du verzweifelt versuchst an der Normalität festzuhalten, an dem, was man gemeinhin Normalität nennt. Weiter, immer weiter, nicht umschauen, nicht zurück, nicht in den Himmel, vor allem nicht in den Himmel, die Weite verdreht dir den Kopf und das Herz, mit der Stirn auf dem Asphalt lebt es sich leichter, wer kriecht, stolpert weniger, wer am Boden ist, fällt nicht, wer sein Gedanken auf der Zunge trägt, behält den Schmerz für sich. Und statt zu lachen schütteln wir den Kopf über die Distanz hinweg, weil wir hoffen, dass irgendeiner es bemerkt, dass irgendeiner uns rettet vorm gerettet werden, weil alle drumherum beschließen, dass es dir gut gehen muss, dass alles bestens sein muss, während du immer nur nach diesem schmalen Grat suchst, nach diesem Abgrund des Verlangens, an dem der Schmerz erst richtig beginnt und die Vernuft endgültig schwindet.

21. September 2011

spann|gurt

Ein Lächeln und Spiegelbild. Über die Leichtigkeit hinweg vergisst man, wie sehr man am Boden klebt, wie in Kaugummi getreten und losgerissen, ein bisschen Quietschen unter dem Schuh, du ignorierst es. Stattdessen kaust du Nüsschen und lächelst wild, die Menschen um dich herum tun es dir nach, du bist ein Leuchtfeuer momentan oder ein brennendes Streichholz, wer weiß, wie lange das anhält, wer weiß, wie groß das alles sein mag oder auch nicht. Du sprichst einen Namen aus, zaghaft, wie mit dem Pinsel auf dünnem Papier geschrieben, es ist nicht dein eigener, du wunderst dich über dich selbst. Um dich herum nimmt keiner wahr, was für ein Wunder du gerade mit dir herumträgst, wie ein Sperling, so leicht liegt es dir im Herzen und auf der Zunge.
Doch im Magen hast du immer noch diesen Klumpen Gold, schwer wie ein vergessener Schatz, ich wühle im Dreck und und schütte eine handvoll Erde darauf, unter den Fingernägeln Sand und Steinchen und verottete Blätter, wie bei einer Beerdigung fühlt sich das an, Asche zu Asche. Der Staub legt sich von selbst darüber irgendwann.

19. September 2011

anker|wurf

Wenn der Herbst kommt. Unter deinen Nägeln brennt etwas, auf deiner Seele auch – aber die Zeit, sie rennt dir davon. Deine Lunge schwer von zu vielen Zigaretten und den unausgeatmeten Wünschen, deine Beine taub vom vielen Davonlaufen und Stillhalten, du schaffst es nicht, ihr nachzusetzen, auf halbem Wege erinnerst du dich und kannst nicht einen Meter weitergehen. Muss du eben auf Zeit verzichten und stattdessen das Ticken der Uhr ignorieren – mag es helfen, flüsterst du in dein Kissen.

Während du keine Antworten hast sondern Vorwürfe, spreche ich erstmals aus, was alle schon wussten – plötzlich wird alles ein wenig klarer, der Regen wäscht die Tränen fort und dich, in mir drin ein Regenbogen und ich sehe dich, sehe dich nicht, schaue in deine Augen, die ich so geliebt habe. Statt weiter reden zu wollen schreibe ich ein Liebesgedicht in so vielen Akten, dass es schon seltsam anmuten mag, aber wer nicht hören will, dem kann ich nicht helfen, meine Lippen sind taub schon und meine Zunge längst träge. Und während du schweigst und nicht verstehst und ich immer wieder deine Lieder höre, so kannst du ruhig meine Worte lesen, so wie ich weghören kann und nicht kann, so kannst du darüber hinweglesen oder auch nicht. Verstehst du, was ich dir sagen will, was du nicht sagen kannst und ich nicht sagen kann, das ist gar nicht so unterschiedlich. Nur eines: meine Seele sind Worte, deine ist Musik. Wo ist der Unterschied, was fange ich mit den Vorwürfen an außer sie hin und her zu wenden in dieser Trostlosigkeit unserer Begegnungen und dich mit Hilfe Stück für Stück zu vergessen. Nichts besseres kann mir passieren, ein Funke zum Feuer, das nicht nur zehrt sondern nährt; ich schnitze Feuerholz aus Erinnerungen, das alles soll brennen.

18. September 2011

schlüssel|fertig

Ein Glück bist du. Trägst mich über den schlammigen Boden meiner Angst und fragst nicht nach morgen, heute ist dir genug, hier und jetzt mit den Füßen unter meinem Tisch und einer Tasse Kaffee, während ich über Eis gehe und ständig fürchte, das Gleichgewicht zu verlieren. Ich schwanke, zugegeben. Ich schwanke und sterbe mitunter viele kleine Tode in einer einzigen Nacht, weil ich alles will, weil ich keine Türen schließen will, es könnte für immer sein, für immer, das klingt so schrecklich endgültig. Du aber, du machst das Tor auf, so weit es irgend geht. Ich stehe unschlüssig davor, weil ich damit nicht umgehen kann, weil ich die letzten Monate vor verschlossenen Türen verbrachte, auf Knien zu oft, in Demut und geduckt, als hätte ich verlernt, aufrecht zu gehen, die Fingerknöchel wundgeklopft am spröden Holz.

Du musst doch auch mal an dich denken, sagt man mir. Und: Glücklichsein, das muss man einfach nur zulassen.

16. September 2011

durch|blick

Was wundert uns das alles noch, nach den Tagen und Nächten, die wir bereits erlebt und verlebt haben, was wundert es uns. Du am anderen Ende der Welt und in meinem Kopf sehe ich dich lächeln, ein Lächeln am anderen Ende der Parallelstraße. In der Tram ein mutiges Klettermädchen, fünf Jahre alt mit dunklen Locken und ich fange fast zu Weinen an in meinem Businessdress, tatsche mir auf die Brille beim Versuch, zu tun, als hätte ich da etwas im Auge. Mit diesem Fettfleck vor der eigenen Sicht sieht die Welt gleich viel besser aus, denke ich und steige doch tatsächlich an der richtigen Haltestelle aus, laufe dafür aber beinahe einen unachtsamen jungen Mann um, der mir gerade bis zu den Brüsten reicht. Ich muss unvermittelt lachen, weil er mich ansieht, als wäre ich eine Erscheinung. Meine Schuhe machen mich in seinen Augen zu einer riesenhaften Geschäftsfrau, dabei bin ich nur müde und fühle mich unwirklich, unwirklicher noch, als es ihm scheinen mag. Mein Lachen ist ein Hilferuf an den Gott der Gottlosen, ich entscheide mich gegen die U-Bahn und gehe den Rest zu Fuß, dabei kommt mir Darth Vader entgegen mit einigen Troopers im Schlepptau, ich glaube ganz kurz, die Büromüdgkeit spielt mir einen Streich, nur um daraufhin festzustellen, dass diese seltsam unwirklichen Begegnungen nicht seltsamer und unwirklicher sind, als meine letzten Monate in diesem mistverdammten Jahr, nicht seltsamer als meine latente Traurigkeit und nicht unwirklicher als unsere vergangene gemeinsame Zeit.

Ich muss geträumt haben. Vielleicht schlafwandle ich immer noch.

14. September 2011

um|lenken

Diese Stille und ich. Manchmal denke ich, ich käme durchaus allein zurecht, eine Tasse Kaffee, eine Nachricht übers Netz, ein Lied, das Ticken der Uhr. Ein Termin, die Katze, das hartgewordene Brot und schon wieder keine Milch. Manchmal komme ich allein zurecht, der Bildschirm, ein Flackern, kein Licht, ein Buch und das offene Fenster. Das kalt gewordene Spülwasser, der schweigende Anrufbeantworter, der Staub auf den Möbeln und die Wäsche. Manchmal habe ich Angst, alleine zurecht zu kommen.

13. September 2011

ver|strickt

Was macht mich zum Menschen – der Wille zum Wollen oder das Wollen zum Willen, frag ich mich und schwanke auf offener See. In dieser Nussschale meiner Gedanken, die zwar den Horizont zur Weite macht, mein eigenes Leben aber mit jedem salzigen Atemzug enger, sitze ich und sende Hilferufe an einen Unbekannten.

12. September 2011

eisblumen|federleicht

fru|gil

Himbeermarmelade. Sie bringt mich um den Verstand. Du hast mich zum Himbeermädchen gemacht, mit der kindlichen Süße rosaroter Früchte, diesem Sommerversprechen von reifen Beeren am Wegesrand, von saftigem Zungenspiel und lieblicher Weichheit, ein Märchen aus Himbeerkörnchen zwischen den Zähnen und diesem Lachen wie Wolkengesang. Ich kann keine Himbeeren mehr sehen, der Sirup unberührt auf dem Küchenregal, die Himbeermarmelade missachtet im Kühlschrank, Himbeerjoghurt, Lassi, Eis, ich will das alles nicht mehr, ich weigere mich, wehre mich und finde meinen Feind in Obst. Wie traurig kann ich eigentlich sein, dass ich Obst verantwortlich mache für etwas, für das nur ich etwas kann. Und du vielleicht ein bisschen dazugetan hast.

Auf meinem Brot nur noch Heidelbeeren, schwarz und bittersüß wie die Liebe.